Gleichstellung & Gewaltprävention: Interview mit Maria Rösslhumer

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Gleichstellung & Gewaltprävention: Interview mit Maria Rösslhumer

#FacetoFace Interview mit Maria Rösslhumer, Geschäftsführerin des Vereins Autonome Österreichische Frauenhäuser wurde 2020 mit dem Menschenrechtspreis für „außerordentliches Engagement für von Gewalt betroffene Frauen und Kinder“ ausgezeichnet. Im folgenden Interview gewährt sie Einblicke in die komplexen und gesellschaftlich hochbrisanten Spannungsfelder, in denen Frauenorganisationen tagtäglich agieren.

Gleichstellung und Gewaltprävention gehören zusammen.

Frau Rösslhumer, Sie sind seit über zwei Jahrzehnten Geschäftsführerin des Vereins Autonome Österreichische Frauenhäuser und wurden im vergangenen Jahr mit einem Menschenrechtspreis ausgezeichnet. Sie sind außerdem Leiterin der Frauenhelpline gegen Gewalt und Vorstandsmitglied des Österreichischen Frauenrings. Möchten Sie uns erzählen, welche Ihre persönlichen Beweggründe waren, diesen beruflichen Weg einzuschlagen?

Maria Rösslhumer: Ich musste mich in meiner Familie schon sehr früh behaupten. Meine Brüder wurden klar bevorzugt und ich musste – im Gegensatz zu meinen Brüdern – bald im Haushalt stark mithelfen. Das hat mich früh dazu gebracht darüber nachzudenken, warum es diese Ungerechtigkeit zwischen den Geschlechtern gibt. Ich komme aus einer streng katholischen Familie und bin auf dem Land aufgewachsen, da gab es für Mädchen nicht viele Möglichkeiten. Meine Mutter hat sich sehr dafür eingesetzt, dass ich trotzdem eine Ausbildung machen konnte und das rechne ich ihr heute noch sehr hoch an.

Vor diesem sehr traditionellen Hintergrund bin ich Aktivistin geworden und auch Feministin. Ich habe mich frauenpolitisch immer in verschiedenen Bereichen engagiert und 1997 wurde ich gefragt, ob ich im Verein Autonome Frauenhäuser mitarbeiten möchte, seither bin ich hier. Im Jahr 2000 bin ich zur Geschäftsführerin bestellt worden, das war auch das Jahr als in Österreich das Gewaltschutzgesetz in Kraft getreten ist. Das war für mich persönlich sehr wichtig und hat mich sehr motiviert mich noch stärker zu engagieren, weil es bis heute ein Meilenstein im Gewaltschutz und Opferschutz darstellt.

Welche Entwicklungen beobachten Sie in den letzten Jahren?

Maria Rösslhumer: Grundsätzlich muss ich sagen, dass sich in Österreich sehr viel getan hat. Wir haben eine Vielzahl an guten Maßnahmen und Gesetzen entwickelt. Lange Zeit hat die Politik eng mit den NGOs zusammengearbeitet, dh auch Frauenhäuser und Frauenorganisationen waren in verschiedenen Prozessen eingebunden. Das ist auch ein Grund, warum sich so viel weiterentwickeln konnte. Es wurde ein flächendeckendes Netz an Frauenhäusern, Gewaltschutzzentren, Frauenberatungsstellen, Notrufen, Notunterkünften etc. geschaffen.

Auch die Gesetze, die wir in Österreich haben, sind gut. Wir haben mit dem Gewaltschutzgesetz begonnen und waren auf internationaler Ebene immer ein Vorbild. Andere Länder haben viel von uns übernommen. Wir haben schnell erkannt, dass wir den Schutz von Frauen im eigenen Heim brauchen und, dass derjenige, der Gewalt ausübt, auch Konsequenzen ziehen muss. Das hat auch der Europarat so gesehen. Österreich war eines der ersten Länder, das bei der Ratifizierung der Istanbul-Konvention dabei war. Diese Vorreiter-Rolle aus der Vergangenheit hat sich in den letzten Jahren leider gewandelt. Die Gesetze sind zwar nach wie vor vorhanden, aber die Umsetzung weist viele Lücken und Defizite auf. Die akute Folge dieser Verschlechterung, ist die Häufung von Femiziden. Von 2014 bis 2018 haben sich in Österreich die Frauenmorde sogar verdoppelt und seitdem sind sie gleich hoch geblieben, da hat sich leider nichts verändert.

„Jede und jeder kann etwas tun“

Die OECD bezeichnet Gewalt gegen Frauen und Mädchen als eine weltweite Epidemie. In jeder Gesellschaft der Welt kommt diese Gewalt vor und ist eine der häufigsten und schwersten Menschenrechtsverletzungen. In Österreich stiegen die Morde an Frauen in den letzten Jahren kontinuierlich an und es ist das einzige EU-Land, in dem mehr Frauen umgebracht wurden als Männer. Wie erklären Sie sich das, was wurde verabsäumt und was kann der Staat kurz- und langfristig tun, um diese Situation zu stoppen?

Maria Rösslhumer: Dass es zu so vielen Morden kommt, hat auch damit zu tun, dass die Behörden nicht stärker durchgreifen und gefährliche Täter nicht schneller identifizieren und aus dem Verkehr ziehen. Das ist etwas sehr Wichtiges. Das Problem liegt aus meiner Sicht – wie schon erwähnt – nicht an mangelnden Gesetzen, sondern, dass die Behörden oft die Gefährder nicht ernst genug nehmen und sie auf freiem Fuß anzeigen. Sie werden nicht in U-Haft genommen und können dadurch leider noch viel anrichten. Das ist eine sehr gefährliche Situation.

Vor allem für Frauen, die sich aus einer Gewaltbeziehung lösen und trennen wollen, ist das die gefährlichste Zeit. Diese Frauen muss man besonders unterstützen und besonders hellhörig sein. Stattdessen werden sie leider oft im Stich gelassen. Die Frauen zeigen an und sie holen sich Hilfe, aber nichts passiert. Acht von zehn Anzeigen werden von der Staatsanwaltschaft eingestellt. Das ist wirklich alarmierend.

Man spürt den Rechtsruck in der Gesellschaft, die politische Situation macht sich sehr bemerkbar. Wir spüren eine extreme Verrohung. Frauen sind zB von Hass im Netz sehr stark betroffen. Verbale Gewalt und Beschimpfungen sind auch eine Form der psychischen Gewalt. Wenn man keinen Schranken setzt, kommt es schnell zu körperlicher Gewalt. Da gibt es einige traurige Beispiele. Um dem entgegen zu wirken, ist es besonders wichtig ein umfassendes Bild über die Situation zu bekommen.

Der am 1. Oktober in Kraft getretene Erlass soll das ermöglichen. Er legt das Hauptaugenmerk auf justizielle Vorverfahren und täter- und opferbezogene Auffälligkeiten. Staatsanwälte und Staatsanwältinnen sollen mehr Anhaltspunkte für das Erkennen von Risikofaktoren erhalten, um eine Gefährlichkeitseinschätzung vorzunehmen. Die Staatsanwälte werden ua. mit einer Checkliste dabei unterstützt, alle relevanten Beweise zu ermitteln, die notwendig sind, um einen Tatverdächtigen in U-Haft zu nehmen. Es ist ein wichtiger Schritt, dass alle Fakten und Daten, die es gibt, gesammelt werden und dann erst die Entscheidung getroffen wird. Besonders begrüße ich den Einsatz von Gefährlichkeitseinschätzungs-Tools, also eine Checkliste, die die Einschätzung erleichtert.

„Mut zur Zivilcourage ist so wichtig – oft braucht es nicht viel dazu!“

Dem Satz „Frauen und Männer sollen gleiche Rechte und Chancen haben“ stimmen die meisten von uns zu. Allerdings denken auch viele, dass in Österreich Frauen und Männer längst gleichberechtigt sind und sehen keinen Handlungsbedarf. Warum denken Sie, ist das so?

Maria Rösslhumer: Die Gleichstellung ist in unserer Verfassung verankert, nur wird das Thema von der Regierung nicht ernst genug genommen. Wir sind weit entfernt von einer echten Gleichstellung zwischen Männern und Frauen – das sieht man in vielen Bereichen. Nach wie vor nehmen Frauen selbstverständlich Teilzeit-Modelle an, weil sie glauben, es geht nur so. Und es ist für sie selbstverständlich, dass sie die Kinderbetreuung übernehmen. 75 % der Care-Arbeit übernehmen immer noch Frauen, das heißt, wir sind weit von Halbe- Halbe entfernt. Das wirkt sich sehr stark im Fall von Trennung und Scheidung aus. Wir brauchen noch viel mehr Chancengleichheit.

Ist das der Grund, dass es im Extremfall zu Gewaltausbrüchen kommt?

Maria Rösslhumer: Die Istanbul-Konvention konstatiert, erst wenn die Gleichstellung zwischen Männern und Frauen umgesetzt ist, kann sich die Gewalt an Frauen minimieren. Gleichstellung und Gewaltprävention gehören zusammen. Wenn man das ernst nimmt, kann sich etwas in der Gesellschaft verändern. Leider bleibt es oft bei Lippenbekenntnissen. Bei der Gewalteskalation spielen Abhängigkeiten, auch auf finanzieller Ebene, eine große Rolle. Solange Frauen in einer unterdrückten Rolle gehalten werden, kann der Partner diese Macht missbrauchen, hier beginnt schon die psychische Gewalt. All diese Ungleichheiten sind strukturelle Gewaltformen.

Die Corona-Pandemie hat die Lebenssituationen für viele Frauen verschärft. Haben Sie in dieser Zeit einen verstärkten Zulauf auf Frauenhäuser beobachtet bzw. sind mehr Anrufe bei der Frauenhelpline eingegangen?

Maria Rösslhumer: Alle Beratungsstellen haben einen Anstieg in der Zeit des Lockdowns erfahren. Auch bei uns, bei der Frauenhelpline, haben wir etwa 20 % mehr Anrufe von Frauen verzeichnet. Die Zahl der Anrufe ist generell gestiegen, weil viele Frauen mit der Situation nicht zurechtgekommen sind. Sie konnten der Kontrolle des Partners nicht entkommen, viele sahen keinen Ausweg aus ihrer Situation.

Wenn der Partner durchgehend Zuhause ist, wirkt sich das auf das gesamte Familiengefüge aus. Diese Situation hat sich wiederum auf die Auslastung der Frauenhäuser ausgewirkt. In den Frauenhäusern haben wir eine 10 %ige Reduktion gespürt, also einen Rückgang. Es gab viele Frauen, die kommen wollten, aber nicht wussten, wie sie es bewerkstelligen sollten. Diese Frauen haben wir in dieser Zeit telefonisch begleitet. Neben der Telefon-Beratung haben wir die Onlineberatung massiv ausgebaut, das wurde sehr stark angenommen. Die Onlineberatung ist vor allem für Frauen wichtig, die nicht unbemerkt telefonieren können und Hilfe brauchen.

In Österreich gibt es aktuell 29 Frauenhäuser. Wie werden Frauen dort konkret unterstützt, welche Hilfe erwartet sie dort?

Maria Rösslhumer: Wenn eine Frau im Frauenhaus aufgenommen wird, bekommt sie ein umfassendes Hilfsangebot. Das ist individuell unterschiedlich, weil jede Frau individuelle Bedürfnisse und Anliegen hat. Angefangen von der medizinischen Versorgung, der rechtlichen Unterstützung, Prozessbegleitung aber auch bei der Suche nach einer Wohnung oder einem Job.

Wir nehmen für sie Gefährlichkeitseinschätzungen und Sicherheitsplanungen vor und wir bieten ihnen außerdem psychosoziale Beratung und Unterstützung an. Für die Frauen ist es wichtig das Bewusstsein zu entwickeln, nicht an der Situation schuld zu sein, um gestärkt wieder herauszukommen. Besonders gefördert werden auch Kinder, die mit ihren Müttern in einem Frauenhaus aufgenommen werden. Denn Frauenhäuser sind auch klar Kinderschutzeinrichtungen und bieten Kindern ein eigenes Programm an, damit sie die traumatischen Gewalterfahrungen verarbeiten können.

Wie steht es um die Kinder, die von häuslicher Gewalt betroffen sind?

Maria Rösslhumer: Während Corona hat sich leider auch die Situation von vielen Kindern und Jugendlichen verschlechtert. Sie müssen gegen häusliche bzw jede Form der Gewalt gestärkt werden. Der Fokus muss viel stärker auf Kinder und Jugendliche gelegt werden und wir brauchen viel mehr Anlaufstellen für sie. Die AÖF machen viel Präventionsarbeit in Schulen und wir haben eine eigene Website, an die sich Kinder und Jugendliche anonym wenden können.

„Wenn wir die Gleichstellung ernst nehmen, kann sich etwas in der Gesellschaft verändern.“

Wenn Sie auf die letzten Jahre zurückblicken, welche Rolle spielen Cybermobbing und Cyberstalking?

Maria Rösslhumer: Das Thema wurde von der Justiz sehr ernst genommen. Das ist sehr wichtig, weil Stalking eine sehr große Rolle bei vielen Mordopfern spielt. Viele von ihnen wurden vorher gestalkt. Seit 2020 gibt es neue Gesetze, die Cyberstalking und Hass im Netz berücksichtigen. Sie legen fest, dass Zeugen und Zeuginnen von Cybergewalt auch Prozessbegleitung bekommen und nicht alleine sind und es wurden verbesserte Maßnahmen gesetzt.

Sie haben 2019 das Gewaltpräventionsprojekt „StoP-Stadtteile ohne Partnergewalt“ in Wien Margareten erfolgreich lanciert und etabliert. Aufgrund des Erfolges soll dieses Projekt nun in sieben Bundesländern und an elf Standorten ausgebaut werden. Was ist das Besondere an diesem Projekt?

Maria Rösslhumer: StoP ist ein sehr wichtiges Projekt und definitiv ein weiterer Meilenstein in der Gewaltschutzarbeit. Hier geht es um Zivilcourage, dass jede und jeder etwas bewirken kann. Das Konzept stammt von der Wissenschafterin Sabine Stövesand, die selbst auch im Frauenhaus gearbeitet hat. Dort hat sie beobachtet, dass viele Frauen von ihren Nachbarn gerettet wurden. Nachbarn spielen deshalb eine zentrale Rolle, weil sie so nahe am Geschehen sind und viel mitbekommen. Sie können agieren und die Gewalt unterbrechen. Deshalb sind die Nachbarinnen und Nachbarn die Kern-Zielgruppe bei StoP.

Ich bin sehr froh, dass dieses Projekt erfolgreich auf sechs weitere Bundesländer ausgeweitet wurde. Wir haben dafür eine Förderung für ein Jahr bekommen, möchten aber natürlich eine fundierte langfristige Finanzierung auf die Beine stellen. Ich bin zutiefst von diesem Projekt überzeugt, weil sich so viele daran beteiligen können. Mut zur Zivilcourage ist wichtig und dazu braucht es oft nicht viel.

Wie finanzieren sich die Autonomen Österreichischen Frauenhäuser? Welche Rolle spielen Spenden? Wie hoch muss das Budget für Gewaltprävention sein?

Maria Rösslhumer: Unser Verein besteht aus folgenden Bereichen: Die Frauenhäuser, die Informationsstelle gegen Gewalt, die Frauenhelpline gegen Gewalt, die Online-Beratung und das StoP-Projekt. Für diese Bereiche haben wir einen Fleckerlteppich an Finanzierungen und Fördertöpfen. Einer unserer Hauptfördergeber ist das Frauenministerium. Die Frauenhelpline wird zum Beispiel zu 100 % vom Frauenministerium finanziert; das Projekt StoP wiederum hat verschiedene Fördergeber. Wir müssen immer wieder schauen, wo wir ansuchen können, um die Fortführung der Projekte zu sichern. Wir brauchen aber auch Spenden, ohne sie würden wir nicht überleben. Ich kann sagen, dass etwa 70–80 % vom Staat finanziert werden und der Rest über Spenden an den Verein geht.

Die Folgekosten von Gewalt sind weit höher, als die Kosten für Gewaltprävention. Die EU hat errechnet, dass Österreich 3,7 Mrd EUR für die Folgekosten von Gewalt, Polizei, Justiz, Gesundheitswesen etc, ausgeben muss. Deshalb fordern wir gemeinsam mit der „Allianz gewaltfrei leben“, ein höheres Investitionsvolumen für die Gleichstellungs- und Gewaltpräventionsarbeit. Wir fordern jährlich 228 Mio EUR. Was wir auch dringend benötigen, sind mehr Personalstellen für neue Projekte, aber auch für bestehende. Wir sind alle am Limit und müssten entlastet werden.

Zur Person: Maria Rösslhumer besuchte eine Fachschule für Sozialbetreuungsberufe in Salzburg und anschließend die  Sozialfachschule in Wien. Nach der Ausbildung arbeitete sie als Familienhelferin. Parallel zu ihrer beruflichen Tätigkeit studierte Rösslhumer Politikwissenschaften und Frauenforschung. Seit 1999 ist Maria Rösslhumer Geschäftsführerin im Verein Autonome Österreichische Frauenhäuser, in dem sie seit 1997 beschäftigt ist. Seit 1998 leitet sie die Frauenhelpline gegen Gewalt. Maria Rösslhumer arbeitet im Vorstand des Österreichischen Frauenrings und engagiert sich seit 1997 im Netzwerk WAVE (Women Against Violence Europe). 2020 wurde sie mit dem Menschenrechtspreis für außerordentliches Engagement für von Gewalt betroffene Frauen und Kinder ausgezeichnet. 

Hier finden Sie weitere Informationen

Das Face to Face Interview ist im TPA Journal erschienen.

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