Interview mit Christoph Boschan, CEO der Wiener Börse

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Interview mit Christoph Boschan, CEO der Wiener Börse

Face to Face-Interview mit Christoph Boschan: Bildung ist der beste Anlegerschutz.

Welche Maßnahmen könnten uns helfen aus der aktuellen Finanz-Krise zu kommen? Warum ist ein starker Kapitalmarkt – gerade in Krisenzeiten – für eine Volkswirtschaft so wichtig? Warum schützt fundierte Finanzbildung vor Fehlentscheidungen? Christoph Boschan, CEO der Wiener Börse, über die besten Anlage-Strategien, Pläne der Regierung und Bildung als Basis eines funktionierenden Kapitalmarkts im TPA Face to Face-Interview!

Christoph Boschan, Sie sind seit 2016 CEO der Wiener Börse und wurden im November vergangenen Jahres vorzeitig und einstimmig als Vorstandsvorsitzender für eine weitere Periode wiedergewählt. Eine schöne Bestätigung des Weges, den Sie mit Ihrem Team eingeschlagen haben. Welche Ziele hatten Sie bei Ihrem Antritt für den Handelsplatz und welche haben Sie erreicht? 

Wir sind gleich zu Beginn in einen intensiven Strategieprozess gegangen und haben als Resultat daraus, sowohl monetär wie auch infrastrukturell, klare Versprechungen abgegeben. Wir haben gesagt, wir versprechen 20 % EBIT-Wachstum aus neuen strategischen Initiativen und wir bieten dem österreichischen Kapitalmarkt die modernste Infrastruktur. Wir haben den Emittenten unser Wort gegeben, für maximal mögliche internationale Sichtbarkeit zu sorgen und den österreichischen Anlegern versprochen, dass wir alle interessanten Investmentmöglichkeiten, die über die Börse darstellbar sind, nach Österreich bringen. Diese strategischen Überlegungen haben wir zu dem Leitsatz verdichtet, für den wir gelegentlich etwas kritisiert wurden, weil er zugegebenermaßen etwas größenwahnsinnig klingt: „Österreich für die Welt, die Welt für Österreich“. Rückblickend haben wir aber genau das getan. Wir konnten österreichischen Unternehmen international maximale Aufmerksamkeit verschaffen und den Anlegern brachten wir die internationalen Finanzmärkte nach Österreich.

Möchten Sie einen Meilenstein hervorheben, auf den Sie besonders stolz sind?

Wir betreiben aus Wien heraus nicht nur die Börse Wien, sondern auch die Börsen in Prag, Zagreb, Ljubljana und Budapest. Mit Zagreb konnten wir vorletztes Jahr eine neue Börse dazugewinnen und Budapest hat letztes Jahr den Vertrag verlängert. Es ist ein harter Wettbewerb, bei dem die Wiener Börse gegen Größen wie Nasdaq, Deutsche Börse und Euronext antrat. Wir sind sehr stolz, dass wir uns gegen diese Giganten durchsetzen konnten. Das vergangene Jahr war national wie international für die gesamte Gesellschaft sehr fordernd.

Auch die Finanzwelt wurde von der Pandemie dominiert. Inwiefern hat das Corona-Jahr 2020 die Börse verändert? Was ist nun anders und welche Auswirkungen konnten Sie beobachten?

Für uns Börsianer gab es zwei unmittelbare Dimensionen, in denen wir betroffen waren und sind. Das ist zum einen die technische Herausforderung um den Systembetrieb stabil zu gewährleisten – vor allem in Zeiten starker Volatilität – und parallel den Bürobetrieb ins Homeoffice zu verlegen. Das ist keine einfache Übung, aber sie hat friktionsfrei funktioniert. Zum anderen war es eine große regulatorische Herausforderung, es fanden verschiedenste Interventionen der Aufsichten auf europäischer und nationaler Ebene statt.

Wie sah das Corona-Jahr 2020 für Investoren aus?

Ich bin kein Analyst, die Wiener Börse ist ein reiner Infrastruktur-Anbieter. Wir nehmen den Datenstrom, berechnen ihn und setzen ihn um. Aber so weit kann ich gehen: Investoren mussten beobachten, dass der ATX zwischenzeitlich überproportional gefallen ist. Es gibt eine zyklische Komposition des Nationalindex, sie besteht aus Banken, Stahl, Öl und Versorgern. Diese Zykliker sind in den ersten drei Quartalen 2020 stark in den Hintergrund geraten und der ATX musste Federn lassen.

Das Börsenjahr 2020 war das erklärte Jahr der Tech-Modelle. Das sind allerdings zeitpunktbezogene Aufnahmen und auch so zu betrachten. Denn Zykliker sind auch deswegen Zykliker, weil auch ihre Zeit wieder kommt. So geschehen im letzten Quartal, da waren auf einmal die Techs wieder out und die Zykliker voll da. Und auf einmal führte der ATX die weltweiten Indizes an und so gleichen sich langfristig die durchschnittlichen Renditen wieder an. Für mich wird 2020 börsentechnisch als das Jahr in die Geschichte eingehen, in dem die klassischen Anlageprozesse – langfristig und breit gestreut auf dem Markt investiert zu sein – fundamental waren. Wer sich von diesen Grundsätzen entfernt, spekuliert. Wer sich daran hält, investiert.

Greift aus Ihrer Sicht das Corona-Hilfspaket der Bundesregierung für Unternehmen?

Es ist aus meiner Sicht zu früh, um eine Bewertung vorzunehmen. Es sind noch viele Fragen unbeantwortet und abgerechnet wird zum Schluss. Wenn ich vorwärtsgerichtet denke, müssen wir uns dringend mit dem gewaltigen Eigenkapitalverlust von 20–40 Mrd Euro, den wir aufgrund dieser Krise erlitten haben, beschäftigen. Wir haben uns Zeit durch viel Kredit erkauft. Doch der Wiederaufbau wird allein über die Kreditseite nicht gelingen. Man kann nur wachsen, in dem man mehr arbeitet. In den reichen Industriegesellschaften gelangt man damit an die Grenzen.

Ein anderer Weg ist es, Dinge anders zu machen und auf Innovationen zu setzen und dafür ist Risikokapital nötig. Eine effiziente Maßnahme ist bereits im Regierungsprogramm angelegt, die Wiedereinführung der Behaltefrist. Also die Steuerfreiheit für Aktienanlagen, wenn man sie eine bestimmte Zeit lang behält. Mit diesem Instrument können Österreicher aus bereits versteuertem Arbeits- Einkommen investieren, ohne dass es nochmals besteuert wird. Das ist ein allgemeines, breitenwirksames Instrument und politisch gut vermittelbar. Auch markttechnisch ist es gut begründbar, denn solche Instrumente fördern Investitionen und sanktionieren die Spekulationen. Wir wollen ja die ruhigen und nicht die zittrigen Hände!

Wir werden bei der Rekonvaleszenz dieser Krise lehrbuchartig verfolgen können, wie sich Volkswirtschaften mit entwickelten Kapitalmärkten schneller vom Krisenmodus erholen. Sie werden schneller wachsen und werden das nachhaltigere Wachstum haben. Das macht die Bedeutung eines gut entwickelten Kapitalmarkts deutlich, er wirkt sich unmittelbar wohlstandsfördernd und letztlich auch -verteilend in einer Gesellschaft aus.

„Bildung zahlt sich aus. Es kann nur derjenige die Chancen wahrnehmen, der um die Chancen weiß.“

Stichwort Finanzbildung: Sie setzen vermehrt auf breitflächige Information. Unter anderem mit der von der Wiener Börse ins Leben gerufenen „Börse Akademie“. Welche Leit-Idee steckt dahinter?

Ich stehe aus vollster Überzeugung hinter den zwei Grundsätzen, die unsere Börse Akademie ausmachen. Sie lauten erstens: Bildung zahlt sich immer aus. Es kann nur derjenige die Chancen wahrnehmen, der um die Chancen weiß. Und der zweite Grundsatz lautet: Bildung ist der beste Anlegerschutz. Das sind die zwei Perspektiven, aus denen man sich dem Markt annähern kann. Beide Philosophien sind völlig legitim. Hauptsache ist, es wird gemacht. Es ist für mich sehr auffallend, dass der Grund fürs Scheitern bei Anlegern nicht der ist, dass sie zu risikoreich oder -los anlegen. Sie scheitern alle ausnahmslos daran, dass sie keine angemessene Chancen-Risikoabwägung vornehmen. Dass Handlungen auf Grundlage einer substantiierten Chancen-Risiko-Abwägung gesetzt werden können, ist ein wichtiges Bildungsziel.

An wen richtet sich das Angebot der Börse Akademie?

Sie richtet sich an Schüler, Studierende bis hin zu professionellen Bankberatern. Wir haben mit großer Sorgfalt ein spezielles Ausbildungsprogramm entwickelt. Wir freuen uns sehr, dass das Ziel der Finanzbildung Eingang in das Regierungsprogramm gefunden hat. Das Thema ist es wert, dass es der Staat eng an seine Brust nimmt und als Bildungsziel für alle materialisiert. Die ökonomische Basisbildung hat viel mit schulischer Allgemeinbildung zu tun, und die ist in Österreich wirklich gut. Es ist alles vorhanden: Private Wohlfahrt, Bildungsniveau und internationale Integration. Wenn man auch noch an kleinen Stellschrauben dreht, wie verstärkte Finanzbildung und steuerliche Incentivierung, dann kann eine substantielle Investorenbasis entstehen, von der eine Volkswirtschaft unbestritten profitiert.

Sie schlagen vor, mehr Sparer zu Investoren zu machen: Warum ist es auch für Privatanleger interessant, am Kapitalmarkt tätig zu sein?

Viele Privatpersonen verbinden Aktienkäufe mit hohem Risiko. Das gehört leider zu den öffentlichen Fehlwahrnehmungen unseres Geschäfts. Entweder wird die Börse mit übermäßigem meist noch amoralischem Vermögensgewinn verbunden oder mit sofortigem Vermögensverlust. Die Wahrheit liegt dazwischen. Wer sich an einfache Grundsätze hält – da sind wir wieder bei der Finanzbildung – und regelmäßig in ein breit gestreutes langfristiges Portfolio investiert, der macht nichts falsch und ist bei der Aktienanlage auf der sicheren Seite. Investieren ist ein jahrelanger Prozess und das stimmt oft nicht mit den Erwartungen mancher Anleger überein. Man muss es sich so vorstellen, wer investiert wird Mitunternehmer. Wer ein Start Up gründet, der rechnet auch nicht damit in drei Monaten erfolgreich zu sein. Und wer das einmal verstanden hat, den erwarten Renditen um die 5–10%.

„Wer sich von den Anlage-Grundsätzen entfernt, spekuliert. Wer sich daran hält, investiert.“

Was würden Sie einem Börsen-Neuling empfehlen? Welche ist die beste Herangehensweise?

Geben Sie sich eine Strategie, die Sie von der Einzeltitelauswahl und vom Einund Ausstiegszeitraum entlastet. Investieren Sie regelmäßig in ein breit gestreutes langfristig angelegtes Portfolio. Das ist die einzig tragfähige Strategie für den Privatanleger. Ich kann das aus ganz persönlicher Erfahrung sagen. Hören Sie nicht auf die vielen Strategien, die sich von diesen Grundsätzen distanzieren.

Was zeichnet die Wiener Börse aus und unterscheidet sie von anderen Finanzplätzen?

Wien macht unzweifelhaft die Marktführerschaft österreichischer Aktien besonders. Wir haben 80 % Marktanteil im regulierten Handel von österreichischen Aktien. Wir sind die zentrale Liquiditätsquelle für den Handel in den heimischen Top-Unternehmen, repräsentiert nicht zuletzt durch unseren ATX. Wir sind aber auch die zentrale Dateninfrastruktur für Mittel- und Osteuropa. Der Handelsplatz Prag ist Teil der Wiener Börse.

Welche Rolle kommt der Wiener Börse hinsichtlich des osteuropäischen Raums zu und welche Entwicklung beobachten Sie in diesem Markt?

Die Wiener Börse ist das Tor nach Zentral- und Osteuropa und erfüllt damit eine Drehscheibenfunktion. Die bei uns gelisteten Unternehmen, unsere österreichischen Leitbetriebe, haben zumeist ein großes Ost-Exposure. Das gibt den Anlegern die Möglichkeit, auf einem in der westlichen Finanzwelt verankerten Markt, der Wiener Börse, ein Exposure nach Osteuropa zu haben. Andererseits liegen die Abnehmer unserer Daten, unserer Indizes, unserer Handelsdienstleistungen vornehmlich im Westen.

„Wir sind die zentrale Liquiditätsquelle für den Handel in den heimischen Top-Unternehmen“

In Österreich sind im Vergleich zu anderen Ländern wenige heimische Unternehmen an der Börse gelistet. Um dem zu entgegnen, haben Sie vergangenes Jahr mit dem Marktsegment „direct market“ bzw „direct market plus“ gestartet, das sich an KMU und Jungunternehmer richtet. Welche Vorteile ergeben sich hier für Unternehmer und wie wurde dieses Einstiegssegment angenommen?

Der Vorteil dieses Einstiegssegments liegt auf der Hand, es ist ein sehr einfacher Marktzugang. Das Unternehmen muss lediglich eine AG sein und etwas Streubesitz hergestellt haben, also bereits auf einige Aktionäre verweisen können. Wir haben auch in Prag ein niedrigschwelliges Einstiegssegment eingeführt, dort ist es der „Start Market“. An beiden Börsen wurde es sehr gut angenommen. Wenn wir an das Thema Krise und Finanzierung des Aufschwungs denken.

Wie sehen Ihrer Meinung nach die Auswirkungen auf den Kapitalmarkt und der Eigenkapitalausstattung in Österreich aus? Schlägt die Stunde der Beteiligungsfinanzierung? Die Frage ist hier: Beteiligungsfinanzierung durch wen?

Wir haben ja verschiedenste staatliche, halbstaatliche und private Initiativen erlebt. Wir haben verschiedenste Beteiligungsmodelle der Gebietskörperschaften und Beteiligungsdiskussionen auf Bundesebene geführt. Das ist alles richtig und zu begrüßen. Aber im Lichte der notwendigen Summe des Eigenkapitals, das hier verloren gegangen ist und wiederhergestellt werden muss, sind das alles homöopathische Dosen. Es fehlt ihnen an Substanz für die Krisenbewältigung. Die drei Börsengänge im Jahr 2019 haben ein Vielfaches an Eigenkapital bereitgestellt, als einzelne Fondsinitiativen imstande sind zu tun. Aus meiner Sicht sind allgemeingültige breitenwirksame Maßnahmen essentiell, wie zB die vorhin erwähnte Behaltefrist zur Aktivierung von privatem Kapital. Das ist das Gebot der Stunde.

Zum Abschluss: Sie haben Eingangs die Ziele beschrieben, die Sie erreicht haben. Welche Ziele setzen Sie sich für die Zukunft?

Wir haben unsere strategischen Grundlagen gelegt und verzeichnen Wachstumsraten in allen Dimensionen. Wir werden unsere Aktivitäten intensiv beobachten und weiterentwickeln – also Handel, IT-Geschäft, Datengeschäft, Indexberechnung und die Zentralverwahrung in Prag – damit diese Märkte optimal bearbeitet werden. Gleichzeitig wird auch Innovation weiterhin eine wichtige Rolle spielen. Und eines dürfen wir nicht vergessen: Wir sind Österreichs zentraler Infrastrukturanbieter für Börsendienstleistungen, darauf konzentrieren wir uns und das ist der Kern, den wir ebenfalls vorantreiben werden. Wir kümmern uns um die österreichischen Anleger, die internationalen Investoren und vor allen Dingen um die Österreichischen Unternehmen.

Zur Person: Christoph Boschan ist promovierter Jurist und seit September 2016 CEO der Börsengruppe Wien und Prag. In den vergangenen zwanzig Jahren war er für verschiedenste Börsen tätig, zuletzt als Joint-CEO bei der Börse Stuttgart sowie Vorstand der Euwax. Vorige berufliche Stationen machte der gelernte Wertpapierhändler bei Equiduct-Trading London, in der Börse Berlin sowie bei Tradegate.

Das Interview wurde im TPA Journal 1/2021veröffentlicht, alle Fotos von Wiener Börse.

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