Interview mit ÖGNI: EU Taxonomie-Verordnung

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Interview mit ÖGNI: EU Taxonomie-Verordnung

Nachhaltigkeit hat sich in der Bau- und Immobilienbranche zu einem strategischen Erfolgsfaktor entwickelt. Die Österreichische Gesellschaft für Nachhaltige Immobilienwirtschaft (ÖGNI) beschäftigt sich seit 13 Jahren mit dem ökologischen, ökonomischen und soziokulturellen Mehrwert von Immobilien. ÖGNI-Präsident Andreas Köttl und ÖGNI-Geschäftsführer Peter Engert über Trends, die EU Taxonomie-Verordnung und warum Greenwashing bald der Vergangenheit angehören wird.

Nachhaltigkeit in der Immobilienwirtschaft in Österreich

Die ÖGNI setzt sich seit über zehn Jahren für Nachhaltigkeit in der Immobilienwirtschaft ein und gilt als Vorreiterin. Worin sehen Sie ihre wichtigsten Aufgaben?

Andreas Köttl: Eine unserer Kernaufgaben ist die Nachhaltigkeit im Sinne der drei Säulen – Ökonomie, Ökologie und Soziales – in die Projekte zu integrieren. Als wir vor 13 Jahren mit ÖGNI gestartet haben, war noch keine Rede von Taxonomie. Das ist eine Begrifflichkeit, die die Nachhaltigkeit noch einmal neu beschreibt und die Themen aufgreift, für die wir stehen. Ein zentrales Element unserer Aufgaben ist die Überprüfung bzw Zertifizierung von Gebäuden nach Taxonomie- Kriterien. Dafür werden wir stark am Markt wahrgenommen und auch herangezogen.

Warum sollten Gebäude von der ÖGNI zertifiziert werden, welche Vorteile ergeben sich daraus?

Peter Engert: Die EU hat ganz klar definiert, dass es Greenwashing nicht mehr geben soll. Es ist nicht mehr zeitgemäß mit einer Plakette bzw mit einer Selbstauskunft Dinge zu bewerten und sich selbst als großartig einzustufen. Es braucht einen neutralen Dritten, der das macht. Die ÖGNI zertifiziert mit rechtlich haltbaren Gutachten nach DGNB-System. Unsere Zertifikate sind mit Beweisen belegbar und dienen vielen Investoren auch als Ersatz für ihre eigene technische Due Diligence.

Unsere Arbeit hat auch starke wirtschaftliche Effekte zB sind Kaufpreise für zertifizierte Gebäude höher, als für nicht zertifizierte. Banken werden zukünftig geringere Zinsen verlangen, wenn sie Gebäude, die taxonomiefähig sind, finanzieren. Investoren können anhand unserer Zertifikate beweisen, dass sie etwas Sinnvolles, Nachhaltiges eingekauft haben. Es gibt Aussagen von Finanzexperten, die niedrigere Zinsen und 8–15 % höhere Verkaufspreise prognostizieren.

„Eine Plakette ist schon etwas wesentlich anderes als ein Zertifikat.“

Welches Ziel verfolgen Sie mit Ihrer NGO, wo möchten Sie hin?

Andreas Köttl: Was ich sehr wichtig finde: Wir haben uns jahrelang darum bemüht und nun haben wir es erfolgreich geschafft, dass das Zertifikat im B2B Bereich – va mit der Asset Klasse Büro und tw in der Hotellerie – zu einem Muss geworden ist. Dadurch, dass sich die Taxonomie nun auf die Gesamtfinanzierung eines Projekts bezieht – es wird nicht mehr zwischen einem Wohnprojekt oder einem Büroprojekt unterschieden – schaffen wir es auch, dass es zum Endkunden kommt. Um es mit dem Bio-Produkt-Regal beim Nahversorger zu veranschaulichen: Wir haben es geschafft, mit nachhaltigen Immobilien in die Regale zu kommen. Damit hat der Kunde die Möglichkeit, nachhaltig zu wohnen und das ist ein ganz wesentlicher Schritt.

Peter Engert: Es geht vor allem darum, alle bestehenden Bemühungen in Richtung Nachhaltigkeit zu bündeln. Auf der anderen Seite müssen wir uns in der Zertifizierung immer weiter entwickeln und am Ball bleiben. Es gibt eine Arbeitsgruppe in Brüssel, die an der Weiterentwicklung der Taxonomie – mit unserer Beteiligung – arbeitet. Dort geht es zB darum, soziale Kriterien zu berücksichtigen. Denn Klimaschutz ist schön und gut, aber zu wenig. Wenn ein Gebäude nicht ansprechend ist, aber toll für den Klimaschutz, werden trotzdem keine Menschen darin wohnen wollen und irgendwann wird es abgerissen und neu gebaut. Was das Klima wieder schädigt.

Wie würden Sie in Österreich den Immobilienmarkt einschätzen, wie Taxonomiekonform ist er bereits?

Peter Engert: Hier beobachten wir einen riesigen Unterschied, der vom Baujahr ausgeht: Nach 2020 haben wir schätzungsweise 80–90 % Taxonomie-Konformität, hier fehlt allerdings noch der soziale Wohnbau. Davor würde ich von 5–10 % ausgehen, wenn ich den gesamten Bestand in Österreich anschaue. Europaweit fallen 94–95 % bei der Taxonomie durch. Damit ergibt sich schon ein gutes Bild, was die Bauwirtschaft in den nächsten Jahren erwartet.

Wenn wir vom Lebenszyklus von Immobilien sprechen, was kann man sich darunter vorstellen? Wie profitieren Investoren, Eigentümer bzw Nutzer von diesem Ansatz?

Andreas Köttl: Der Ansatz eine Immobilie auf einem linearen Zeitstrahl mit unbegrenztem Ende zu lokalisieren, ist überholt. Wir betrachten die Immobilie im Kreislauf: Von der Planung, der Errichtung über den Betrieb bis hin zur Rückführung der Materialien und Substanz in den Kreislauf sowie die daraus resultierende Neuentwicklung. Das ist ein sehr zentrales Element: Man kommt mit den Mechaniken der Kreislaufwirtschaft wieder zum Anfangspunkt zurück und das ist die wahre Nachhaltigkeit. Wir haben in diesem Jahr noch einiges an Umsetzungen im Taxonomie-Kapitel vor uns.

Darunter zB auch, dass Greenfield immer problematischer zu entwickeln sein wird. Das treibt uns dazu, gut mit dem Bestand umzugehen und hier diesen Kreislauf vollendet zu sehen. Für uns ist es sehr wichtig, dass wir auf die Materialien, auf die verbauten Rohstoffe schauen und dass wir auch darauf achten, dass möglichst viel – wenn nicht sogar 100 % des Materials – wieder in einer neuen Immobilie berücksichtigt wird. Nur so können wir die Ressourcen wirklich schonen.

Peter Engert: Wobei Kreislaufwirtschaft nicht recyclen heißt. Das oberste Ziel der Kreislaufwirtschaft ist wiederverwenden, recyclen ist nur die zweitbeste Lösung. Die Baumaterialien müssen so verbaut werden, dass sie an der richtigen Stelle sind. Kann etwas nicht erhalten werden, sollte das alte Baumaterial bei der Errichtung miteingeplant werden.

Andreas Köttl: Das ist der Punkt, wo die ÖGNI ins Spiel kommt. Wir helfen mit unserer Erfahrung, unserem Know-how. Wir wissen was möglich ist und können bereits bei der Planung unterstützen, damit die richtige Schwerpunktsetzung erfolgt. Wir haben einen riesigen Wissenspool, auf den man über unsere Auditoren und Gremien zugreifen kann. Wir bieten eine gute Plattform für unsere Mitglieder, die sich in diesem Bereich auch weiterbilden möchten. Dieser Wissenstransfer ist auch eine unserer Kernaufgaben, und dass wir unser Wissen auf dem neuesten Stand halten.

Peter Engert: Der Sitz der ÖGNI ist im ältesten Stahlbetonbau Wiens (Anm. der Trabrennbahn Krieau im Wiener Prater), mit Denkmalschutz. Das ist doppelt schwierig und dennoch ist es unglaublich toll gelungen, ein Bürokonzept einzubringen. Hier macht es Spaß zu arbeiten.

Lassen sich Wirtschaftlichkeit und eine nachhaltige Projektplanung gut vereinbaren?

Andreas Köttl: Ich bin froh, dass sich diese Frage eigentlich nicht mehr stellt. Es stimmt einfach nicht, dass nachhaltig bauen immer teurer ist. Das kann ich mit Sicherheit sagen. Das heißt die Frage lautet nicht mehr, ob es eine Vereinbarkeit von Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit gibt, sondern vielmehr, wie ich sie bewerkstellige. Und das möglichst effektiv, rasch und in Abstimmung mit den anderen Planenden bzw dem bestehenden Asset-Manager.

Alle Bestrebungen fokussieren sich auf das Wie. Wir kennen natürlich die Sorgen unserer Mitglieder, der Druck ist oft sehr groß. Aber auch da können wir mit unserem Know-how unterstützen, um möglichst ökonomisch vorzugehen und viel Nachhaltigkeit in bestehende Strukturen hineinzubringen. Tatsache ist, dass es notwendig ist, alte graue Portfolios in Form zu bringen und dafür zu sorgen, Nachhaltigkeit in den Bestand zu integrieren.

Peter Engert: Wir dürfen eines nicht vergessen, das Argument „nachhaltig zu bauen ist teuer“ ist ein sehr kurzsichtiges. Es fokussiert ausschließlich auf den Kaufpreis bzw die Mietkosten. Der Kaufpreis relativiert sich aber, wenn ihm enorme Betriebskosten gegenüberstehen. Nachhaltige Maßnahmen wirken sich langfristig positiv auf die Kosten aus.

Die Taxonomie-Verordnung der EU und die Ökologisierung der Kapitalflüsse führt dazu, dass sich Nachhaltigkeit von einer freiwilligen Option zu einem erforderlichen Muss entwickelt hat. Wie stehen Sie dazu?

Andreas Köttl: Ich finde die Herangehensweise der Taxonomie der Europäischen Union sensationell. Man kann mit vielem nicht einverstanden sein, aber dieser Coup ist ihnen gelungen. Er erzieht die Branche dazu, nicht nur kurzfristig an den Exit-Erlös zu denken. Dieser Approach, Unternehmen über die finanzielle Seite zu beeinflussen, ist für mich das Ei des Kolumbus. Für die Immobilienbranche stellen sich neue Fragen: Wie wirkt sich das in der wirtschaftlichen Gebarung bzw auch indirekt für die Bewertung der Liegenschaft aus?

Es wird klar sein, dass ein Gebäude, das man gut wiederverwerten kann – und ich meine damit nicht recyclen –, dass das einen anderen Marktpreis haben muss, als eines, wo das nicht möglich ist. Wir befinden uns gerade mitten in einer großartigen Entwicklung, die – im wahrsten Sinne des Wortes – auf hunderten von Baustellen den Klimawandel bremsen kann. Dabei geht es geht gar nicht darum, von heute auf morgen überall nachhaltig zu bauen, sondern in den nächsten Jahren eine klare Entwicklung dorthin aufzuzeigen. Den Klimawandel werden wir nicht vom Jahr 2022 auf 2023 bremsen, wir sollten nur rechtzeitig Aktionen setzen, bevor es zu spät ist.

„Wir sind Gutachter, wir haften für unsere Arbeit und stehen dafür gerade.“

Wie nachhaltig ist Österreichs Immobilienwirtschaft?

Andreas Köttl: Es findet definitiv ein Umdenken statt. Viele Marktteilnehmer sondieren noch, was das für sie konkret bedeutet und welche Handlungsschritte sie setzen sollten. 2021 fand ein Weckruf statt (Anm. Im April 2021 wurden die finalen Kriterien für Klimaschutz und Klimawandelanpassung von der Europäischen Kommission veröffentlicht), wir werden uns dieses Jahr noch gut merken. Es geht ein Rumoren durch die Branche und das Jahr 2022 wird noch sehr viel Wahrnehmung mit sich bringen. Viele Unternehmen kommen auf uns zu und wir beobachten viel Bewegung. Ich glaube auch, dass schon viele Entwickler verstanden haben, wo die Zukunft liegt. Im Bereich Technologie und Digitalisierung kommen zwei Bereiche zusammen, die sich wechselseitig hochhebeln können. Wenn Menschen vor Herausforderungen stehen, entstehen oft viele tolle Ideen.

Wie sieht erfolgreiche Digitalisierung in der Baubranche aus?

Peter Engert: Wir haben die Arbeitsgruppe „Gebäude und Digitalisierung“ zu diesem Thema und werden auch in der nächsten Zeit zu einem Positionspapier kommen, um zu einer Veränderung der Zertifizierungsgrundlagen zu gelangen. Digitalisierung ist sehr wichtig, um Nachhaltigkeit messbar und steuerbar zu gestalten. Digitalisierung bietet viele Hebel, wenn es um Themen der Energieversorgung geht.

Ein wesentlicher Punkt ist allerdings, dass Digitalisierung am Anfang für den Investor nicht greifbar ist, weil die wirklichen Kostenvorteile, die die Digitalisierung mit sich bringt, nicht der Investor schöpft, sondern der Betreiber bzw der Mieter. Daher haben wir eine starke Zurückhaltung auf der Investorenseite was Digitalisierung betrifft. Und da stechen wir als ÖGNI genau hinein und werden europaweit das Zertifikat insofern ändern, dass der Investor ein besseres Zertifikat bekommt, wenn er Digitalisierung in einem Neubau ermöglicht. Das ist ein erster Schritt in die richtige Richtung.

Das Thema Mobilität finde ich auch sehr wichtig. Wir haben noch kein einziges Projekt mit einer guten Mobilitätslösung. Digitalisierung könnte es möglich machen, dass ich kein Auto mehr in der Garage brauche, wenn ich in der Stadt wohne. Wir brauchen digitale Mobilitätslösungen für Stadtviertel. Digitalisierung ist auch Gemeinschaftsbildung. Sie kann viele Facilities anbieten, die komfortabler für Menschen sind. Wir stehen hier am Anfang, aber es gibt viel Potential.

Der Spruch Daten sind das neue Gold, ist meiner Meinung nach nicht richtig. In Wirklichkeit ist die Analyse der Daten, die ich habe bzw die Handlungsempfehlungen, die sich daraus ableiten, das was die Immobilienwirtschaft weiterbringen wird. Es gibt schon ein paar Anbieter am Markt und ich hoffe, dass sich hier noch viel bewegt.

Stichwort Greenwashing, wo hören authentische, effektive Maßnahmen auf und wo beginnt Greenwashing?

Peter Engert: Eines kann ich definitiv sagen: Alles was ein ÖGNI Zertifikat hat, ist garantiert kein Greenwashing. Wir hoffen, dass sich in nächster Zeit dank der Taxonomie-Verordnung die Spreu vom Weizen trennt. Dass man aufhört Plaketten zu vergeben – die ja auch kostenpflichtig sind –, weil es einfach nichts mehr bringt und es wirtschaftlich nicht sinnvoll ist. Bevor ich etliche nichtssagende Plaketten beauftrage, mache ich lieber gleich ein ordentliches Zertifikat, das Hand und Fuß hat.

Andreas Köttl: Es gibt viele Restaurantkritiker, aber nur einen Michelin. Wobei ich andere nicht schlecht machen möchte, unsere Qualität hat immer für sich gesprochen. Wir sind Gutachter, wir haften für unsere Arbeit und stehen dafür gerade.

Sie haben im Jahr 2017 bei ÖGNI gemeinsam das Ruder übernommen, welche persönliche Vision bzw Ziele hatten Sie damals? Worauf sind Sie besonders stolz?

Andreas Köttl: Wir haben viel erreicht, worauf wir stolz sein können. Was uns beiden von Beginn an klar war: Wir waren uns einig, dass wir die Nachhaltigkeit in Richtung B2C fördern wollen. Das war eines unserer großen Anliegen. Diesen Weg sind wir sehr erfolgreich gegangen und man kann sagen absolut antizipativ in dem Segment, was wir natürlich auch weitertreiben. Das B2C Thema wird zudem nochmal von der Taxonomie gehebelt.

Peter Engert: Uns war sehr wichtig, eine gewisse Flächendeckung zu erreichen. Das ist uns definitiv gelungen. Wir haben ein tolles Team, das hart daran arbeitet, dass es auch so großartig bleibt, wie es ist. Ein großer Ansporn ist für uns, die Wahrnehmung von ÖGNI auf politischer Ebene zu optimieren. Ich denke, wir haben jetzt den richtigen Zeitpunkt, um auch dieses Thema anzugehen. Mit unserem Zertifizierungssystem haben wir ein professionelles grünes Instrument, das für Transparenz, Qualität und Sicherheit bürgt.

Über ÖGNI: Die ÖGNI – Österreichische Gesellschaft für Nachhaltige Immobilienwirtschaft, ist eine NGO zur Etablierung der Nachhaltigkeit in der Bau- und Immobilienbranche. Ziel der ÖGNI ist es, den Mehrwert von Gebäudezertifizierungen aufzuzeigen, um umwelt- und ressourcenschonende Gebäude, mit hoher wirtschaftlicher und sozialer Effizienz zu schaffen, die über Generationen hinweg flexibel nutzbar sind und sich positiv auf die Gesundheit, das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit der Nutzer auswirken. Die ÖGNI wurde 2009 gegründet und ist Kooperationspartner der DGNB (Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen), deren Zertifizierungssystem übernommen, an Österreich adaptiert wurde und seither stetig weiterentwickelt wird. Die ÖGNI ist als einziges österreichisches Council ein „established member“ des WorldGBC (World Green Building Councils) und bestrebt, das europäische Qualitätszertifikat auf internationaler Ebene zu stärken.

Das Face to Face Gespräch mit ÖGNI erschien im TPA Journal 1/2022.

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